Samstag, 19. Oktober 2013

... in Indien (#6)

Im Nachtzug nach Madurai - Mit Indern im Gespräch

Den gestrigen Tag begannen wir mit einem letzten Gespräch mit dem Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit der Church of South India (CSI) in Chennai Mr. Solomon. Die Runde entpuppte sich schnell als Nachbearbeitung unserer Busfahrt am Tag zuvor (s. Reisebericht von gestern).


Typisch für die Gegend in und um Chennai:
der Haarschmuck der Frauen aus Jasmin-Blüten.
Nach dem Mittagessen hatten wir den restlichen Tag zur freien Verfügung und stürzten uns mit Tuk-Tuks in den wuseligen Verkehr Chennais. Im Tempelbezirk angekommen, gingen die Herren wieder auf Tuchfühlung mit den Menschen dort an ihren Marktständen. Eine Mutter mit Kind, die ich auf der Straßenseite gegenüber fotografierte, winkte mich herüber, holte ihr zweites Kind, posierte mit beiden Kindern für mich. Als sie nun sagte, dass sie »two more children« hätte, die sie holen wollte, entschuldigte und verabschiedete ich mich. Denn tatsächlich hatte ich den Anschluss an meine Gruppe verloren, die mittlerweile an einem Straßenstand Tee bestellt hatte. Tee, der nicht mit Wasser aufgebrüht wird, sondern direkt auf Milchbasis zubereitet wird. Unsere Damen waren derweil unterwegs, um zu shoppen in den kleinen Basarständen. Sie wurden von unserer indischen Begleiterin Sheela in die besten Läden geführt, um Stoff für Saris zu finden. Sheelas Verhandlungsgeschick beeindruckte meine Mitreisenden. Sie muss einen Händler sogar dazu gebracht haben, seine Mutter zu Hilfe zu rufen, um von Sheela nicht ganz über den Tisch gezogen zu werden.

Am Abend brachte uns ein Mitarbeiter des CSI zum Bahnhof von Chennai, wo wir im Schlafwagen des Nachtzuges nach Madurai reserviert hatten. Vor dem Bahnhof sprach ein Gepäckträger unseren Begleiter an. Sofort begannen die beiden zu verhandeln und kurz danach waren es etwa zehn Gepäckträger, die mit unserem Begleiter um den Preis feilschten. Die Abfahrt des Zuges im Nacken, das hektische, laute Verhandeln, hätte uns Europäern den Kopf platzen lassen. Unser gelassener Begleiter allerdings handelte einen guten Preis aus, einen Bruchteil dessen, was eine unserer Vorgängergruppen gezahlt hatte.

Warum wir nicht mit dem Flugzeug reisten, wurde unser Gruppenleiter Thomas Philipp von vielen Indern gefragt, die die Fahrt im Nachtzug nicht nachvollziehen konnten. Doch getreu seinem Motto »Immer rein ins Gewimmel, ihr sollt die Menschen kennenlernen«, kam nur die Fahrt mit dem Nachtzug in Frage. Gemeinsam mit Birgit, Stefanie und Kirsten teilte ich mir ein Sechser-Schlafabteil. Ja, zwei Plätze waren noch frei und da kam Thomas’ Strategie gleich zur Geltung. Im Abteil saß bereits ein Inder, der sich und seine Frau auf deutsch vorstellte. Ein Professor für Physik mit seiner Frau, einer Ingenieurin für Wasserbau. Nachdem der Professor die Namen unserer großen Physiker wie Einstein und Heisenberg aufzählte und sie als »geniale Köpfe« lobte, fragte er uns nach unseren Reisezielen und Ambitionen für die Reise. In Anspielung auf Pakistan und Indien fragte er nun, wie wir Deutschen die Wiedervereinigung verkraftet hätten, ob wir glücklich damit wären und welche Erfahrungen wir gemacht hätten. Der Professor selbst war nie in Deutschland, hat die Sprache in Indien gelernt.

Plötzlich fragte er uns, ob denn Adolf Hitler für uns ein Held sei. Wir verneinten dies und erklärten ihm, dass ein Massenmörder und Volksverhetzer, der so viel Leid über die Völker brachte, niemals ein Held sein könne. Der Professor nahm unsere Ausführungen ruhig zur Kenntnis, kannte die Gräueltaten der Nazis bereits und konnte deshalb wohl nicht verstehen, warum die Deutschen Hitler als Helden sehen und hatte noch einmal nachgefragt. Schließlich gab er zu, dass alle Deutschen, die er bisher danach fragte, dies bejaht hätten. Wir erklärten ihm, dass es sich hierbei um eine politische Minderheit in Deutschland handele und er wohl immer die falschen Deutschen erwischt hätte.

Mit einem freundlichen »Gute Nacht« schwang sich der betagte Professor wie ein Eichhörnchen ohne Hilfe einer Leiter in das oberste der drei Stockbetten und verschwand unter der dünnen Decke.

Als langsam Ruhe einkehrte im Wagen, wurden unsere Fahrkarten kontrolliert. Während ich Kirsten ärgerte und der Gehilfe des Kontrolleurs dies beobachtete und breit grinste, sorgte der »Chief Ticket Inspector« schnell für Ordnung und unterband jeden Spaß. Nach einer gewissenhaften fast viertelstündigen Kontrolle mussten wir 90 Rupi nachzahlen, weil sich die Preise seit der Buchung erhöht hatten.

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