Sonntag, 24. September 2017

Das plötzliche Interesse an den Nichtwählern


Wie die AfD den etablierten Parteien eine Chance gibt.

Mehr als bei den meisten vorangegangenen Wahlen hatte man 2017 bei der Bundestagswahl das Gefühl, es bestehe eine Wahlpflicht in Deutschland. Auch ich habe brav mein Kreuzchen gemacht, um Schlimmeres zu verhindern, wie einem nahegebracht wurde in Medien und Social Media. Trotzdem bleibt ein etwas schaler Nachgeschmack, man fühlt sich als ehemaliger Protest-Nichtwähler jetzt ein bisschen ausgenutzt und übertölpelt. Nicht jeder Nichtwähler ist politikverdrossen. Viele haben einfach die Hoffnung aufgegeben, dass sich mit den etablierten großen Parteien etwas ändert. Denn wie es der Kabarettist Volker Pispers so treffend sagte: »Wir wählen die Lokführer, die Weichen stellen andere.« Die letzten drei Jahrzehnte geht es immer in die gleiche Richtung völlig egal, wer von den etablierten Parteien in irgendeiner Koalition das Sagen hatte. Politik geht immer weiter am Volk vorbei, die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Wobei ich hierfür neben der Politik auch die Gewerkschaften verantwortlich mache, das aber ist ein anderes Thema.


Nun gut, der überzeugte Protest-Nichtwähler versucht also seit einigen Jahren der Politik zu vermitteln, dass sie kein interessantes Angebot macht, dass ein »Weiter so« nicht gewollt ist, ein »Nicht weiter so« jedoch nicht im politischen Angebot ist. Denn ist man taub und blickt ausschließlich auf die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte, gibt es eben nur eine Richtung, egal wer in der Regierung sitzt oder saß. Bisher hat das die etablierten Parteien recht wenig interessiert, denn Nichtwähler sind ja nicht gefährlich. Und die Sieger der Wahlen behaupten dennoch, von der Mehrheit gewählt worden zu sein. Ja, von der Mehrheit der Wähler, nicht von der Mehrheit der Wahlberechtigten. Aber das stört ja keinen, denn an die Macht kommt man ja trotzdem. Die Fehler suchte man stets bei den Nichtwählern, nie bei sich selbst. Nach der letzten Wahl sollte die Briefwahl vereinfacht werden und somit wurde den Nichtwählern schlicht unterstellt, sie seien ja nur zu faul zum Wählen. Dann wurde darüber diskutiert, die Altersgrenze herabzusetzen, um die Herde des Stimmviehs zu vergrößern und bei jüngeren, leichter zu beeinflussenden Menschen landen zu können. Kurz: Die Fehler und Lösungen wurden überall gesucht, nur nicht bei den etablierten Parteien und deren Politik.


Jetzt gibt es plötzlich eine Partei, die viele dieser bisherigen Protest-Nichtwähler anspricht. Zum Glück längst nicht deren Großteil. Denn eines ist völlig klar, die AfD ist keine Alternative zu irgendwas, nicht wählbar und völlig indiskutabel. Doch jetzt werden aus etlichen Protest-Nichtwählern Protestwähler und die großen Parteien bekommen das Fracksausen. Sie werben um jeden Nichtwähler, der jetzt die Kastanien aus dem Feuer holen soll, welche die etablierten Parteien seit Jahrzehnten sehenden Auges ins Feuer kullern ließen. Man fühlt sich ausgenutzt und ein bisschen übertölpelt. Jahrelang hofft man, das »Weiter so« zu durchbrechen, endlich jemanden wachzurütteln und dann war doch alles vergebens, weil man die Demokratie an sich verteidigen muss.


Gut, ich war wählen. Nicht jedoch, weil ich für ein »Weiter so« bin, sondern weil es Schlimmeres zu verhindern galt. Ich sehe das als eine Chance für die etablierten Parteien. Sollten sie sich nach der Wahl jedoch hinstellen und behaupten, die Wähler hätten eindeutig ihre »Weiter so«-Politik bestärkt, weiß ich nicht, wie viele Protest-Nichtwähler sich das nächste Mal hinreißen lassen, die Kastanien für die großen Parteien aus dem Feuer zu holen. Es ist eine Chance, vergeigt sie nicht!

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